Ansichtssache –
Wild at Heart
INTERVIEW: SIMONE RICKERT
FOTOS: GÜNTER ZINT
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 43
Günter Zint empfängt standesgemäß in der Davidstraße, im Büro seines Sankt Pauli Museums. Er liest gerade sein nächstes Buch Korrektur. Sein Foto-Archiv ist auf seinem Bauernhof nahe Stade, aber auch hier Foto-Schränke, Regale voller Bücher. Auf seinem roten Pullunder prangt ein Button „Opa gegen rechts“. Sagt viel über ihn: voller Überzeugung, humorvoll, ehrlich. Fünf Kinder von drei Frauen und vier Enkel.
Wenn man so lange hier wohnt, wie hat sich St. Pauli über die Jahre verändert?
Wenn man 57 Jahre hier ist, dann kennt man jeden Idioten und jeden Netten. Ich habe eine Wohnung hier, bin aber meist auf unserem Bauernhof auf dem Land. Der liebe Gott hat einen großen Zoo, viele bunte Tierchen darin – ich bin ja auch eins davon. Aber die Zentrale ist dummerweise mitten auf St. Pauli. Ich habe hier Freunde, aber auch selbst gemachte Feinde, die mit Bedacht ausgesucht sind. Wenn ich hier zu jemandem Sie sage, dann weiß der ganz genau: keine Freundschaft.
Dann lass uns schnell beim Du bleiben …
Junge Mädels dürfen mich gern duzen. Ich habe vier junge Frauen, die hinter mir herlaufen – selbst gemacht: meine Töchter. Und wenn ich abends vor die Tür gehe und mich unten eine anbaggert, die mich nicht kennt, wir haben eine hohe Fluktuation, dann sag’ ich: „Okay, kannst mit hochkommen und mir ein Gutenachtlied singen, kriegst 20 Euro.“ Hat noch keine
angebissen, ist denen zu wenig.
Fotografierst du noch für die Presse?
Ich bin Proletarier, ich arbeite mit Muskelkraft (krümmt lachend den Zeigefinger, wie den Auslöser einer Kamera drückend). Beim G20 hab ich über 4000 Fotos gemacht. Das wird die Fortsetzung zu diesem Buch: die Kämpfe um die Rote Flora bis G20. Ich sage immer: Ich hab nichts Ordentliches gelernt. Meine Mutter wollte, dass ich Theologie studiere, ich wollte nicht. Als ich schon beim „Spiegel“ gearbeitet habe und an die 10.000 Mark verdiente in den 60er-Jahren, da kam sie mich in Berlin besuchen und sagte: „So, mein Junge, jetzt hast du ja was erreicht, aber nun wird’s Zeit, dass du einen ordentlichen Beruf lernst.“ Fotografieren, Malen, Musik machen, für alte Preußen sind das keine Berufe, das sind Hobbys.
Keine große Anerkennung seitens der Familie.
Mein Vater sagte immer: „Nichtsnutz, aus dir wird nie was.“ Er war so ein richtiger Alt-Nazi. Wir haben uns nur gestritten. Aber nach seinem Tod habe ich entdeckt, dass er alle meine Veröffentlichungen, Titel und Ehrungen aufgehoben hatte. Irgendwie war er doch stolz auf mich.
Waren dir die Musiker-Fotos ein bisschen lang-weilig, im Gegensatz zur politischen Arbeit?
Was mich wirklich nervt, ist, dass ich immer nur als Beatles- und Musik-Fotograf abgehandelt werde. Ich hab’ viel wichtigere Sachen gemacht. Meine politischen Bücher, das „Gegen den Atomstaat“ hat eine Millionen-Auflage gehabt. Als wir „Wilde Zeiten“ im „Kaiserkeller“ vorstellten, kam Margot Pfeiffer, unsere Sittenpolizei, und sagte: „War doch gut, dass Sie damals gekämpft haben, sonst hätten wir in der Hafen-straße jetzt so feine Leute, die hier nicht herpassen würden.“ Und ich: „So, und dafür habt ihr uns aufn Kopp gehauen?“ (Lacht.) So ändern sich die Zeiten.
Warum bist du nach Hamburg gezogen?
Ich kam aus Fulda, hatte meine Ausbildung zum Volontär bei der dpa hinter mir. 1962 bin ich hierher zur „Star-Club“-Eröffnung, aber nur wegen der Musik. Ich wurde dort Hausfotograf und hatte mit den Musikern immer guten Kontakt. Das haben die Platten-firmen ausgenutzt, denn die konnten mit diesen langhaarigen Affen überhaupt nichts anfangen, außer Geld verdienen. „Herr Zint, können Sie sich um die Künstler, die hier zu Besuch kommen, kümmern und gleich dabei Fotos machen?“
Dann hängt man mit den Beatles an der Bar ab?
Das war Zufall, ich hatte Geburtstag, und John hatte davon gehört. Dann hat er mich auf einen Drink in die Präsidenten-Suite eingeladen. Wir haben in meinen 27. reingefeiert, alle haben „Happy Birthday“ gesungen.
Bekommt nicht jeder, so ein Ständchen!
Das war mein Beruf. Ich habe das nicht für etwas Besonderes gehalten, nie Autogramme gesammelt. Das ist unprofessionell, geht mir am Arsch vorbei.
Und als der „Star-Club“ 1969 zumachte?
Kommt am 2.1.1970 René Durand vom „Salambo“ an, über den ich jetzt ein Buch mache, das 81. übrigens. Und sagt: „Du machst jetzt Fotos für mich.“ Ich frage, was ich da fotografieren soll? „Fick-Schau!“ Bin bald rückwärts umgefallen. Hab’ überlegt, ob ich das überhaupt kann, aber ich war natürlich auch neugierig, gerade mal über 20. Und lernte schnell, dass das im Grunde Ohnsorg-Theater mit Sexualkunde war. Die Atmosphäre hinter der Bühne war so lustig und locker, alle nannten ihn Papa Dudu. Er war ein Charmeur, nannte sich Maître de Plaisir. Heiße Geschichte, er war zweimal unter den Nazis zum Tode verurteilt wegen Sabotage an deutschen Flugzeugen.
War er Mechaniker?
Nee, er war als Zwangsarbeiter im KZ Neuengamme, noch keine 16, hat Kreiselkompasse in Flugzeugen montiert.
Und immer wenn er fertig war, hat er den Metallstaub ins Gehäuse geblasen, damit die Piloten England nicht finden. Heute würde er einen Orden dafür kriegen. Nach dem „Salambo“ ging er nach Paris, hatte wenig Geld. Die letzten zehn Jahre seines Lebens hat er bei mir gewohnt, in der Freien Republik Behrste. Wir haben eine Gedenktafel angebracht auf der Bank, auf der er im Sommer immer saß.
Und Jimi Hendrix hat bei dir gewohnt?
Hendrix war hier im Autohotel Lincolnstraße untergebracht und hatte zu laut Musik gehört. Da haben sie ihn gebeten, die Musik leise zu machen oder das Hotel zu wechseln. Er kam zu mir ins Studio, sah eine Stereo-Anlage und eine Couch und beschloss: „I’m not going back to this shit hotel, I stay here!“ Und zack hatte ich einen Untermieter. Deswegen habe ich von ihm ganz viele Fotos, auch private. Die durfte ich an Getty Images verkaufen, dafür habe ich zwei Millionen D-Mark gekriegt, die hab’ ich hier ins Museum gesteckt. Ich wollte sie nicht dem Finanzamt geben, die kaufen nur Waffen davon. Wir gehen heute wieder voll auf Kalten Krieg zu.
Ist das nicht irre?
Hätte mir jemand vor drei Jahren erzählt, was heute politisch los ist, ich hätte gesagt: „Du rauchst den falschen Stoff.“ Ekelhaft, die Amis haben ihre Atombomben und alle ihre Aufbereitungsanlagen, aber das gönnen sie keinem anderen. Aber ich bin auch kein Maßstab, ich bin Pazifist und für Blümchensex.
Damals ging’s auf dem Kiez noch wilder zu als heute. Ich kann mit Prostitution nichts anfangen.
Es gibt da solche und solche. Domenica hat den Job mit purer Leidenschaft gemacht. Aber als sie merkte, dass nicht jede Frau mit dem Job zurande kommt, hat sie angefangen, sich um die jungen Mädels zu kümmern, die dann Aids hatten oder andere Probleme, und war zehn Jahre lang Streetworkerin, von der Stadt bezahlt. Eine ganz besondere Frau. Sie wurde immer über ihren großen Busen definiert, aber sie hatte ein viel größeres Herz. Sie war eine Heilige, sah ja auch aus wie eine Madonna. Sie hat Kitsch geliebt, ich hab’ ganz viele Putten und Engel von ihr. (Nippes-Figuren, bunte Gläser, eine gebende Hand, steht alles bei ihm im Regal. Eine Spieluhr, die „Für Elise“ spielt.) Im nächsten St.-Pauli-Buch mache ich ein Kapitel über Moral, es gibt nichts Moralischeres als eine Prostituierte nach Feierabend oder eine pensionierte Striptease-Tänzerin. Die leben in weißem Schleiflack mit Gummibaum. Damals bedeutete Nacktfotos machen, Aufbruch in eine neue Sexualmoral. Das war eine feministische Leistung – sollen die Spießer sich doch ärgern. Danach wurde es Sexismus.
Auslegungssache …
Ich kriegte damals wegen der Nacktfotos Hausdurchsuchungen. Als ich die „St. Pauli Nachrichten“ gemacht haben, wurde sogar unsere Kundenkartei beschlagnahmt. Die habe ich aber ungeöffnet wieder rausgekriegt mit meiner Anwältin Dr. Gisela Wild. Sie ist jetzt 87 und sagte später zu mir: „Herr Zint, ich muss Ihnen was gestehen. Dadurch, dass ich Sie damals vertreten habe, wurde plötzlich über etwas gesprochen, über das man nicht mal in der Ehe sprach.“ Sie ist verheiratet mit dem Ex-Auslandschef vom „Spiegel“. Sie meinte, sie müsse sich im Nachhinein bedanken, ich hätte sehr zu ihrer Emanzipation beigetragen. Ich hab’ gesagt: „Das war hoffentlich Efrauzipation, nicht dass da schon wieder ein Mann drin ist.“
Die Idee zu den „St. Pauli Nachrichten“ war ja eher ein Zufall, mit ziemlich großem Erfolg.
In London habe ich den „Gleaner“ entdeckt, da konnte man Quatsch reindrucken lassen, „Günter Zint had tea with The Queen“. Dann lag ich hier im Hafenkrankenhaus acht Wochen mit einer gesplitterten Kniescheibe und kriegte Langeweile, da ist die Idee für eine linke Boulevard-Zeitung entstanden. Und dann kriegte ich beinahe vor mir selbst Angst, weil das so explosionsartig hochging. Die Leute kamen auf die Idee, Kontaktanzeigen bei uns aufzugeben. Ein Heirats-markt. Wir hatten Waschkörbe voller Briefumschläge mit 10ern drin. Und auf Anraten von Frau Dr. Wild habe ich eine Tageszeitung daraus gemacht, denn die steht unter besonderem Schutz des Presse-rechts und kann nicht so einfach indiziert werden wie ein Magazin. Daraufhin mussten wir eine tägliche Ausgabe machen. Ich hab’ damals beim „Spiegel“ gearbeitet und vorher bei der „konkret“, ich kannte Stefan Aust und Henryk Broder und viele Journalisten, die freiberuflich arbeiteten. Die habe ich angerufen und gesagt: „Wir müssen ab nächster Woche eine Tageszeitung machen.“ Zack waren die alle dabei.
Und ständig Ärger mit der Polizei.
Ich sollte mal wegen Abhörens des Polizeifunks verklagt werden, obwohl das alle Reporter von „Bild“ bis „Mopo“ machten. Der Richter sagte wörtlich: „Herr Zint, ich kann doch mit Ihnen nicht über Ihr Urteil feilschen wie auf dem Wandsbeker Ochsenmarkt.“ Ich musste 800 Mark bezahlen, an Jugendhilfe e.V. Die haben mich dann für einen Vortrag engagiert und mir 800 Mark dafür bezahlt. Wir nannten das Bußgeld-Recycling. Er wusste, dass ich Pazifist bin und immer gesagt habe: „Über Gewalt gegen Sachen können wir noch mal diskutieren, aber Gewalt gegen Menschen geht überhaupt nicht. Null.“
Wie kann man dann mit Ulrike Meinhof in einer Kommune leben?
Sie hat in Blankenese mit Klaus Rainer Röhl gewohnt, und immer wenn ihr Ehesegen schief hing, kam sie zu uns – und das war oft. Er war ein Lebemann mit Jaguar und Villa, und dann mit einer so sozial engagierten Frau verheiratet. Als wir sie kennenlernten, hat sie sich um abgehauene Kinder vom Heim gekümmert und uns auch welche in die Kommune gebracht. Einer davon hat mich komplett beklaut zum Dank, aber egal.
Aber mit den richtigen Leuten hast du dich immer gut verstanden.
Also, ich hatte immer Förderer. Ernst Bader hat in das Museum bestimmt eine Million reingesteckt, er hat uns die Tantiemen seiner St.-Pauli-Songs über-schrieben. Und Willi Bartels hat mir damals die Schlüssel gegeben, als das „Eros“ nicht mehr lief. Der hat immer an mich geglaubt und mich min Jung genannt. Ich hab’ ihn gesiezt. Wenn wir hier unterwegs waren, musste immer ich Bier und Kaffee bezahlen, denn Millionäre haben nie Bargeld in der Tasche. Aber dafür kriegte ich nachher einen Scheck. Ich hab’ gesagt, mit dem Museum, das wird nichts ohne Geld. Zog er das Scheckbuch: 100.000 Mark Anfangskapital. Das hab’ ich Ernst Bader erzählt, da hat er mir das Gleiche noch mal gegeben. Der war Klavierspieler und bei Bartels angestellt, bevor er Millionär wurde, Kommunist auch. Auf seinem Briefbogen stand: Eigentum ist Diebstahl – wenn man nicht teilt. Ich hab’ in meinem Leben tolle Menschen kennengelernt.