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Alexandra Sostmann

PIANISTIN

Text: Stephan Bartels | Fotos: Kaupo Kikkas

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 51

Eine Sache gleich vorweg: Das Ding, das da schwarz und glänzend Richtung Terrassentür steht, das ohne jeden Zweifel Chef ist in diesem großen, luftigen Raum, wird nie und unter keinen Umständen „Piano“ genannt. Das ist Alexandra Sostmann wichtig, weil, machen Journalisten ja manchmal: „Piano“ schreiben auf der Suche nach Synonymen. „Klavier ja, noch besser Flügel“, sagt Sostmann, und darauf könne man vielleicht „piano“ spielen, was Italienisch sei und nichts anderes heiße als leise. Sie kennt sich damit aus. Seit sie fünf ist, spielt sie Klavier, sie verdient ihr Geld damit, das Instrument ist die Basis ihrer Anerkennung, ihrer Prominenz in der Klassikszene, und damit ist die des gesamten Planeten gemeint. Deshalb muss sie auch nur kurz überlegen, wenn man sie nach ihrem Lieblingsplatz in Hamburg fragt. „Da“, sagt sie und nickt kurz Richtung Flügel, „an meinem Klavier. Nirgendwo verbringe ich mehr Zeit.“

Zweidreiviertel Meter lang ist ihr Arbeitsgerät, eine halbe Tonne schwer, ein Steinway, das D-Modell – so was steht auch auf den Bühnen, die sie bespielt. „Die beste Anschaffung meines Lebens“, sagt sie, und das will was heißen. Schließlich gehört Sostmann und ihrem Mann auch das Haus in Rissen, das die beiden um den Flügel herum gebaut haben. Ein Kubus mit zwei Stockwerken, ziemlich modern, sehr klar, aber die Steine der Fassade stammen aus den 1930ern. Drinnen Küche, Esstisch und Wohnzimmer in einem Raum, mehr Fenster als Wand, hell ist es und sehr strukturiert, nichts ist überflüssig hier. Das ist kein Zufall, dieses Zimmer spiegelt seine hübsche Bewohnerin wider – und ihre Art zu arbeiten. „Glasklar“ sei Sostmanns Anschlag, urteilte der Bayerische Rundfunk mal, ihr Spiel sei „fast nüchtern, durchdacht und durchsichtig, frei von Pathos, aber voller Poesie“. So macht sie das eben: Sie reduziert die Sachen auf ihren Kern, auf die Seele, und da passen dann plötzlich Johann Sebastian Bach und der moderne Komponist Xiaoyong Chen auf eine Platte, mit „Bach, Byrd, Gibbons + Contemporary Music“ hatte sie im vergangenen Jahr Aufsehen erregt.

Sostmann, Jahrgang 1970, kommt aus Barßel, eine knappe Autostunde hinter Oldenburg. Der Vater war Banker, die Mutter hatte die musische Ader und ermutigte die drei Kinder, Instrumente zu lernen.
Alexandra fiel das nicht schwer, sie liebte Klassik und das Klavierspielen, vielleicht auch, weil es eine Form des Eskapismus war: Ihre Mutter bekam Krebs, als sie fünf war, Kindheit und Jugend wurden überschattet durch die Krankheit, über die keiner sprach. Dazu kam: Sie war ein Freak in den frühen 80ern, wo alle Nena und Kim Wilde hörten und Rollerskates fuhren, während Alexandra Klavier übte. Mit 15 wechselte sie auf das Internat nach Plön, wo die Musikhochschule Lübeck eine Außenstelle aufmachte. Das war Flucht und Ankommen zugleich. Denn hier waren Leute wie sie.

1990 starb ihre Mutter, sie machte Abi, vertrat Schleswig-Holstein bei „Jugend musiziert“, alles innerhalb von drei Monaten. Das war alles ein bisschen viel. „Ich bin auf der Bühne innerlich zusammengebrochen“, sagt sie. Sie brauchte eine Auszeit danach. Sammelte sich. Bewarb sich an drei Musikhochschulen. Und ging am Ende nach Hamburg. „Ich bin der Stadt verfallen in dieser Zeit“, sagt sie. Dabei war ihre Wohnsituation so mittel: erst ein Zimmer in Horn, dann eines an der Wandsbeker Chaussee. Aber sie hielt sich ja ohnehin die meiste Zeit in der Schule an der Alster auf. Gründete mit Judith Mosch das Duo
Villarceaux, das ein gutes Dutzend Jahre bestand. Und die Grundlage war für eine beachtliche Karriere. Erfand sich danach als Solistin neu, mit hochgelobten CDs, gefeierten Auftritten weltweit und einer besonderen Würdigung: In Argentinien, wo Sostmann ein echter Star ist, verlieh ihr die Astor-Piazzolla-Geburtsstadt Mar del Plata die Ehrengastwürde.

Sie hat in Köln gelebt, in Frankfurt, seit sieben Jahren ist sie zurück in Hamburg. Der Westen ist ihre Hood, sie ist gern Op’n Bulln, dem Anleger in Blankenese. Läuft durch den Klövensteen vor ihrer Haustür und joggt durch die Wedeler Au. Sie würde ja auch gern Radfahren oder Tennis spielen, aber: geht nicht, Gift für Pianistinnenhände. Und überhaupt, professionell Klavierspielen, das ist wie Hochleistungssport, Auftritte, Aufnahmen, üben, üben, üben – die Zeit wird knapp für anderes.

Aber es geht ihr gut, sie liebt, was sie tut. Und liebt es auch, sich beim Üben von den Buntspechten in ihrem Garten ablenken zu lassen und den Eichhörnchen, wenn die sich die Nüsse holen, die Sostmann vor der Terrassentür verstreut hat. Und sie guckt gern rüber zum „Armen Mann hinterm Deich“, der hinten am Damm steht, auf dem die S-Bahn nach und von Wedel fährt. „Das ist eine lange Liebe“, sagt sie.
„Der arme Mann“ ist eine Eichenskulptur, die auf dem Parkplatz eines Einrichtungsgeschäfts auf Sylt stand, lange Jahre ist sie um ihn herumgestrichen, ohne ihn sich leisten zu können. Irgendwann, es war der Abend vor ihrem Geburtstag, klingelte es, drei starke Männer wuchteten das Ding aus einem Laster in ihren Garten. Ihr Mann hatte, Überraschung!, ohne ihr Wissen ein bisschen in Kunst investiert.
Ihr Flügel. Buntspechte. Und ein armer Mann, der den Bahndamm bewacht. Alexandra Sostmann hat in Rissen wirklich alles, was der Mensch zum Leben braucht.

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