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Bettina Schliephake Burkhardt

TORTEN-QUEEN

Text: Simone Rickert | Fotos: René Supper

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 64

Jeder kennt sie als „Betty“. Die rund 1,7 Mio. Zuschauer pro TV-Staffel und Spin-offs rund um „Das große Backen“, ihre über 70.000 Follower auf ihrem YouTube-Kanal „Betty’s Sugar Dreams“ und dem gleichnamigen Blog, die Hobby- und Profi-Konditorinnen, die ihre Bücher „Motiv­torten Basics“ und „Betty backt!“ immer und immer wieder zur Hand nehmen und sich in ihren Kursen aus- und weiterbilden lassen.
Ihr Atelier in Volksdorf sieht eher aus wie ein Raum voller Künstlerbedarf als wie eine Backstube. In Kunst war sie schon in der Schule gut. Dass Zucker – man sagt Fondant und Blütenpaste – zum Material ihrer Wahl werden würde, ergab sich später. Backen hat sie amtlich gelernt, ist ihr aber eigentlich zu viel Firlefanz vorab. Deko ist ihr Ding. Schränke, Schubladen, alles ist hier wohlsortiert gefüllt mit Spezialwerkzeugen, Ausstechern, Formen und Farben. Regalmeterweise Literatur, zur Inspiration, um von den Besten zu lernen, viel englischsprachig.

Als sie ihr Hobby vor 31 Jahren zur Profession machte, war Tortende­sign in Deutschland gänzlich unbekannt oder vielmehr untergegangen. Das Motiv-Design, das sie hier zum Trend machte, war klassisch amerikanisch geprägt, die Blumendeko mehr englisch. „Buttercreme gespritzt, die Technik gab es in den 1920ern in Deutschland. Doch dann wurde es hier eher schlicht, Bauhaus, Wolfenbütteler Meisterschule. Drüben hat sich alles fröhlich weiterentwickelt.“ Betty kann referieren wie eine Torten-Kunsthistorikerin. Ihren Quasi-Doktortitel legte sie 2016 als „Certified Master Sugar Artist“ vor der amerikanischen Tortenvereinigung ICES ab, als einzige Europäerin – mehr geht in ihrem Metier nicht.

Das Werk, mit dem sie international berühmt wurde, ist ein Froschkönig. Er thront auf einer mehrstöckigen Torte, „Küss mich!“, und ziert das Cover ihres ersten Buchs. Als sie das Foto im Internet hochlud, ging es viral, der Hype nahm Fahrt auf. Bis zu 80 Arbeitsschritte für je eine Torte hat sie für das Buch fotografieren lassen. Das kann man nachvollziehen. Wie viele Tage braucht man für eine Torte als begabter Laie? „Nicht heute anfangen, wenn morgen Hochzeit ist“, sie lacht laut, hat sie alles schon erlebt. Ihr Tipp: „Klein anfangen, mit einem Gugelhupf, den kann wirklich jeder backen, dazu eine süße Figur.“ Sie kommt nicht mehr dazu, Torten auf Bestellung zu fertigen. Seit 14 Jahren gibt sie ihre Kunst in Kursen für Laien und Profis weiter, filmte ein komplettes Kompendium mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen für ihren YouTube-Channel. Und seit 2014 steht die 1,92 Meter große Frau für die Sat.1-Show „Das große Backen“ als Jurorin vor der Kamera. Ihr Co-Juror ist Sterne-Patissier Christian Hümbs, Enie van de Meiklokjes moderiert, zehn Hobbybäcker stellen sich dem Wettbewerb. Seit 2017 werden Spin-offs mit Prominenten, seit 2019 auch mit Profis produziert. Und dabei geht es, bestimmt auch dank Bettys Humor, wesentlich herzlicher und kollegialer zu als in vergleichbaren TV-Casting-Formaten.

„Das große Backen“ wird in Brandenburg aufgezeichnet, Herrenhaus Stülpe, im Spreewald südlich von Berlin. Da ist nix, nur das Schloss, auf dem das gesamte Team in nahezu unveränderter Besetzung vier Wochen im Jahr wohnt, das TV-Zelt steht im Park, Naturparadies.

„Vier Wochen Klassenreise, man kennt seine Kollegen sehr in- und auswendig.“ In der Klasse sind auch alle Kameraleute, die ganze Redaktion, es kommen Kinder und Familien zu Besuch. „Es ist schon sehr witzig, muss aber auch funktionieren, von 12 bis 35 Grad haben wir da an Wetter alles.“ Die Promis werden in einer ehemaligen Malzfabrik der Schultheiss-Brauerei in Berlin-Tempelhof gedreht. „Dann hat man mal vier Wochen Berlin. Als Hamburgerin finde ich das einmal im Jahr genug.“

Außerdem bekleidet sie ein sehr prestigiöses Ehrenamt: „Bailli regional de la Confrérie de la Chaîne des Rôtisseurs Bailliage de Hambourg“. Heißt, sie ist Hamburg-Vorsitzende der weltweit agierenden Bruderschaft von Köchen und Feinschmeckern, der im Jahre 1248 König Ludwig IX. von Frankreich das Recht verlieh, sich zu gründen. Nur 41 Mitglieder aus Gastronomie und Hotellerie hat die „Chaîne“ hier in der Stadt. Einmal im Monat treffen sie sich zum gesetzten Essen, tauschen sich aus, verkosten Weine.
Durch ihren Beitritt verpflichten sich die Mitglieder zur Brüderlichkeit und Achtung untereinander. Jenseits der Branche ist diese feine Institution kaum bekannt, nichts ist geheimnisvoll, die Profi-Gastgeber sind nur in ihrer raren Freizeit gern auch mal unter sich. Mitglied der „Chaîne des Rôtisseurs“ zu sein, ist eine Frage der Persönlichkeit, der Haltung und der Einstellung – es ist eine Ehre.

Mitglied des Vorstands der Konditoren-Innung Hamburg ist sie eben­falls. Mehr Hobbys braucht Betty dann auch nicht: „Essen ist die tollste Erfindung auf dem Planeten. Genüsslich irgendwo zu sitzen und bei gutem Wein gute Gespräche zu haben, das ist das Großartigste, was es gibt.“

Sie kocht gern selbst, dann allerdings, anders als beim Dekorieren, ganz nach Rezept. Was bei Familienessen wiederum ihren Sohn Julius wahnsinnig macht. Gelernter Koch und Bäcker und gern freestyle am Herd. Beruflich Quereinsteiger als SAP-Developer, auch das geht offenbar. Bettys Mutter Irmtraud lehrt uns nach „Bailli“ noch ein neues Wort: „Butenhamburgerin“, von Hamburger Eltern außerhalb der Stadt geboren, in Bettys Fall in Miraflores, Lima, Peru. Die Familie ging bald wieder zurück in die Hansestadt, doch ihr Faible für alles Exotische blieb.

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