Bettina Steinbrügge
DIREKTORIN DES KUNSTVEREINS IN HAMBURG
Text: Regine Marxen, Fotos: Julia Schwendner
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 49
Die Hände hat sie lässig in die Taschen ihres langen Mantels
gesteckt, ihre Haltung ist so entspannt wie gerade, der Gang selbstbewusst und dabei leicht tänzelnd. Bettina Steinbrügge hat etwas Weltweibliches. Den Begriff gibt es nicht. Müsste es aber. Jemanden wie Bettina Steinbrügge hat es auch lange nicht
gegeben. Sehr lange. Sie ist die erste Frau, die den über 200 Jahre alten Kunstverein in Hamburg leitet.
Seit 2014 ist sie die Direktorin des Vereins. Die Kunstwissenschaftlerin brachte internationale Erfahrung mit nach Hamburg. Mit 19 Jahren verließ sie ihr Dorf im Osnabrücker Land und ging nach Chicago. „Es gibt dieses Lied von John Cale und Lou Reed
,Smalltown‘. Ich wusste, ich möchte raus in die Welt.“ Sie lebte in Paris, studierte später in Kassel, war unter anderem Kuratorin an der La Kunsthalle Mulhouse und Seniorkuratorin und Sammlungsleiterin am Belvedere in Wien, dem größten Nationalmuseum
Österreichs. Ein quasi unkündbarer Job, dem sie für Hamburg
Adieu sagte. Der eine oder andere Hanseat beäugte das damals
kritisch. „Im ersten Jahr“, erinnert sich Bettina Steinbrügge, „hatte man mir von mancher Seite Überforderung
attestiert, was aber nicht stimmte, das würde ich weit von mir weisen.“ Dass Frauen anders mit Fragestellungen umgingen, anders führten, ein bisschen ruhiger wären, weniger laut, würde häufig als Schwäche angesehen. „Aber ich glaube, niemand, der mich kennt, würde mir das heute noch attestieren.“ Sie lächelt, die Erinnerung scheint sie zu amüsieren.
Bettina Steinbrügge ist ein intellektueller Kopf, was sie tut,
geschieht stets aus der Überlegung heraus. „Du kannst so
deviant sein wie du möchtest, nur naiv darfst du nicht sein“, hat ihr Professor ihr einst geraten. Sie ist alles andere als naiv, hat aber eine Vorliebe für Experimente und Wagnisse jenseits des Erwartbaren. Genau das reizt sie an ihrer Position im Kunstverein. „Vereine können mehr experimentieren als Museen.
Gerade junge zeitgenössische Kunst ist oftmals sehr erklärungsbedürftig. Diese Künstler brauchen einen Ort, der sie zeigt.
Das ist unsere Aufgabe.“
2020 war diese Aufgabe alles andere als leicht. Stichwort Corona. Kunst ist auch Interaktion und der Kunstverein ein sozialer Ort. Wie aber soll ein Mitgliederprogramm in Zeiten von Social Distancing funktionieren? Geht das? Ja, das geht. Oder besser: Es muss gehen. „Mich interessiert das Lösungen-Finden. Für mich sind Probleme eher Aufgabenstellungen“, sagt Bettina Steinbrügge. So entstand in diesem Jahr ein interdisziplinäres Sommerprogramm mit Tänzern, Schauspielern und Künstlern. „Man wird meistens wahnsinnig kreativ, wenn man
Lösungen finden muss.“ Trotzdem, es ist und bleibt ein Jahr der
Herausforderungen. Das Virus bringt Gewohntes ins Wanken und Fragen auf den Tisch, die schon lange genau auf jenen
gehören. Auch in der Kunstwelt, auch in Bettina Steinbrügges Leben.
Eigentlich ist sie ständig auf Reisen, fliegt viel. „Meinen ökologischen Fußabdruck aus dem letzten Jahr will keiner sehen“, sagt sie ernst. Viele Fragen ständen jetzt im Raum. „Können wir noch die internationalen Transporte machen? Müssen wir lokaler arbeiten? Müssen wir digitaler arbeiten?“ Die gesamte Kunstbranche sei durch das Virus kräftig durcheinandergewirbelt worden, auf vielen Ebenen seien Lösungen für die Zukunft gefragt. „Wir haben den Klimawandel komplett ignoriert. Das wird sich ändern müssen.“
Sie schlägt ihre Beine übereinander. Ihre Füße stecken in eleganten, silbernen Sandalen, flach. Eigentlich bevorzugt sie hohe Absätze. Auch das ist Corona geschuldet; besondere Zeiten, anderes Schuhwerk.
„Vielleicht muss man damit leben, dass man nicht mehr alle Kunstwerke live sehen kann.“ Sie klingt alles andere als resigniert, während sie das sagt. Warum auch, ihr Hirn ist auf Lösung programmiert. „Ich finde Grenzen ja ganz gut. Wenn man Grenzen hat, muss man noch innovativer werden.“