Lili & Jesko
ARTISTS IN LOVE
Text: Regine Marxen | Fotos: Uta Gleiser
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 50
Wie mag sich das anfühlen, wenn zwei Menschen ineinander aufgehen, ohne sich selbst aufzugeben? Bei der Betrachtung tanzender Paare kann man dieses Gefühl eventuell erahnen, den Rausch an der gemeinsamen Bewegung, die Freude an der Verbindung, am Einklang der Seelen. Es ist kein Wunder, dass das Hamburger Künstlerpaar Lili & Jesko sich beim Tanzen kennenlernte. Und noch weniger verwunderlich ist es, dass sie die Leidenschaft für es nie verloren haben. „Der Tanz ist ein Gedicht, und jede seiner Bewegungen ist ein Wort“, soll Mata Hari gesagt haben. Wenn Lili Nalovi und Jesko Willert den Tango tanzen, fließen Bewegungen wie Worte ineinander. „Das Ego“, sagt Jesko, „würde hier nur im Weg stehen. Es stört beim Tanz wie in der Malerei.“ Sie gehen nicht nur Hand in Hand durchs Leben, sie wirbeln umeinander herum. Aus dieser Energie heraus entstehen Objekte, Landschaften und Malereien, in die der Betrachter tief eintauchen kann. Sie ist eine Eintrittskarte in eine andere Welt.
1990 trafen Lili und Jesko im legendären Hamburger Club „Soul Kitchen“ aufeinander. Sie studierte bereits an der Kunsthochschule, er sollte bald damit beginnen. Sie waren voneinander angezogen, hatten vieles, was sie verband. Beide erfuhren in ihrer Kindheit und Jugend Gewalt und Verlust. Sie teilten den Willen, dieses Gefühl in etwas Schönes zu transformieren, begriffen Kunst als Lebensmodell, in dem der Künstler nicht nur als schaffendes Element agiert, sondern mit dem Werk verschmilzt. So begann die inzwischen 30 Jahre lange Reise von Lili & Jesko. Gemeinsam gingen sie 1998 nach Florenz, um dort die klassische italienische Malerei zu lernen. Sie lebten in Sizilien, reisten fünf Monate von Südindien bis tief in den Himalaja nach Bhutan. Ihr Ankerpunkt aber blieb Hamburg. Hier, in der Souterrainwohnung eines Bürgerhauses unweit des Isemarktes, fließen Einflüsse und Inspirationen zusammen und manifestieren sich in einem Gesamtkunstwerk. Dieser Ort ist Atelier, Magazin und Wohnraum zugleich. Das Duo lebt in, mit und von der Kunst. „Wir lieben die Inszenierung“, sagt Lili. „Und wir leben sie.“
Die Fußböden und Decken der Räume sind liebevoll bemalt, das Mobiliar atmet den Geist der Vergangenheit und trägt dabei lässig eine Prise Glamour auf der Patina. Die Lampenfüße im Eingang zum Beispiel waren einst ein Dachbalken, sie wurden von Jesko geschnitzt, mit Kreidegrund eingestrichen und versilbert und von Lili mit verspielten Federwerk-Lampenschirmen gekrönt. Gestapelte Leinwände, großflächige Gemälde an den Wänden, intensive Farben, Stoffe – ein Abenteuer für die Sinne. Genau das ist es, was die Kunst von Lili & Jesko ausmacht: Sie ist ein Abenteuer. Sie sind beide Maler, von dem Verkauf der Bilder leben sie. Seit 2003 aber arbeiten sie universell, gestalten ganze Landschaften, Räume, Häuser. Aus dem Katharinenhof im Hamburger Baurs Park vertrieben sie mit ihrer Installation den Behördenmuff, der sich seit 50 Jahren in dem Gebäude eingenistet hatte. Im ehemaligen Barmbeker Krankenhaus und heutigen Wasserturmpalais verwandelte das Künstlerpaar mit ihren Mood Environment Paintings eine Fläche von 700 Quadratmetern über zwei Stockwerke hinweg in eine Landschaft der Sinne. Dabei verzichten sie auf Sponsoren oder Fördergelder. „Wir sind Macher, die Beantragung von Fördergeldern ist uns zu langwierig“, sagt Lili. Diese Einstellung verlangt Mut und Risikobereitschaft. Im Wasserturmpalais zum Beispiel mussten sie zuvor über 500 Meter Kabel verlegen, um ihre Bar, das Kino und die Gemälde illuminieren zu können. Das Gebäude hatte weder eine funktionierende Strom- noch Wasserversorgung. Über 1000 Liter Wasser mussten in Kanistern in das ehemalige Krankenhaus befördert werden, um die Räume zu reinigen und die Farben anmischen zu können. „Unsere Erfahrung hat uns gezeigt, je mehr man hineingibt, desto mehr fließt zurück“, sagt Jesko. Einer der großen Meilensteine in ihrem künstlerischen Schaffen war ihre Ausstellung im Palazzo Bembo auf der 56th Venice Art Biennale 2015. Sie kreierten eine raumfüllende Installation, die im zweiten Stockwerk des Palazzos zu sehen war. Der Raum, den sie bespielten, war ein Durchgangsraum. Das Leben mit all seinen Verflechtungen ist eine Passage, so die Botschaft. Wie wollen wir diese gestalten?
Lili & Jesko haben eine Antwort gefunden. Sie gestalten gemeinsam, als Einheit. „Wir leben den Moment“, sagt Lili. Das, was bei vielen Paaren bloßes Kopfschütteln erzeugt, ist für sie Normalität: zusammen arbeiten, zusammen leben, eine 24-Stunden-Beziehung. Kunst ist ihr Mittler, das Element, das Gegensätze verbindet. Und so gehen sie tanzend weiter ihren Weg. Vor drei Jahren haben sie sich neben Hamburg einen zweiten Ankerpunkt errichtet. Von ihrer Beletage in
Berlin-Kreuzberg aus genießen sie die Internationalität der Hauptstadt. Im hanseatischen Hamburg sind die beiden Paradiesvögel, in Berlin ist das anders. „Die Städte ergänzen sich wie in einer Beziehung“, sagt Jesko. Lili fügt hinzu: „Wir hören dort immer wieder, dass wir eine Bereicherung für Berlin seien. Und das in einer Stadt wie Berlin. Ein wunderschönes Kompliment.“