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Marietta Andreae

GRANDE DAME DER PUBLIC RELATIONS

Text: Simone Rickert Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 64

Sie selbst würde sich nie als solche bezeichnen, noch nicht einmal so denken. Bescheidenheit ist ihr von Kindesbeinen an ein Wesenszug, ebenso wie impeccable Manieren, Souveränität auf jedem Parkett. Dass Umgangsformen ihr im Blut liegen und sie sich darüber keine Gedanken machen muss, sondern voll und ganz auf die Menschen um sie herum eingehen kann, ist ihr Talent. Raffinesse und Durchsetzungsvermögen kommen im Laufe ihres Lebens hinzu. Aufgewachsen in Baden-Württemberg, als Tochter der Baronesse von Süßkind-Schwendi und des Kavallerieoffiziers Andreae, Umzug nach München, als Marietta, so sagte man damals, ein Backfisch war: quietschfidel, auch gern mal auf einer Party. Ihre liebevolle Mutter war abgeneigt, schickte sie ins renommierte und weltoffene Kloster Wald. Für Marietta ging kurz die Welt unter.

Doch es tat sich eine neue auf, „obwohl die Uniformen und das Essen grauenvoll waren, wir hatten Spaß.“ Zunächst ohne Absicht schuf sie hier die Basis für ihr Netzwerk. Denn Mitschülerinnen hatten Brüder, Cousins und Cousinen, mit denen es sich trefflich feiern ließ, in München, auch auf dann nicht mehr so langweiligen Familienfesten, als Au-pair in London, mal im Abendkleid, mal im Mary-Quant-Minirock. Jeder kannte irgendwo auf der Welt jemanden, der eine reizende deutsche Lady gern mit auf eine Party nahm, die fließend Englisch (Higher Proficiency of Cambridge) und Französisch sprach.
Die Wende auf die 70er-Jahre verbrachte Marietta in Melbourne, wo Tante und Onkel lebten. Ein Job-Angebot als Sekretärin schlug sie aus, doch ein Traineeship bei einer Kosmetiklinie, das interessierte sie. Vom Beauty-Counter im Kaufhaus, wieder in Uniform, stieg sie ins Headoffice auf. Aber Europa, das Miteinander der vielen Länder, fehlte ihr. Sie knüpfte Kontakte, wurde gefragt, ob sie als Chef-Kosmetikerin zu Marbert kommen mag – ihr Vater sagte stur Chef-Sekretärin. Nach ein paar Jahren kam das Modehaus Chanel auf sie zu, die Parfums liefen schon super, sie wollten eine Kosmetikserie einführen. Also hat sie sich in Hamburg beim Lizenznehmer Albrecht & Dill vorgestellt, und der deutschsprachige Markt wurde ihr anvertraut. Duft No. 5 hielt damals die Haute Couture unternehmerisch über Wasser. Die Directricen der verstorbenen Mademoiselle Coco hoben mit jeder Schau deren Erbe hoch – doch es fehlte merklich an frischem Wind. Marietta fuhr brav und loyal mit Freundinnen, respek­tive Kundinnen, nach Paris auf die spärlich besuchten Schauen und nahm Platz am Laufsteg. Es war trist.

Als sie das erste leise Gerücht hörte, dass der Anfang der 80er in Paris schon weltbekannte Designer Karl Lagerfeld den Modebereich übernehmen könnte, erkannte sie das Potenzial und war Feuer und Flamme. Lagerfeld kam an Bord, man traf sich, und nach etwas „Comment allez-vous?“ fragte er: „Sind Sie aus Deutschland?“. Ja, aus Hamburg, seiner Geburtsstadt. Es funkte in beide Richtungen. Formschön behielten sie das „Sie mit Vornamen“ ein Leben lang bei. Das Haus fragte offiziell an, ob Marietta zwölf Damen kenne, die man mit der ersten Kollektion aus der Hand von Lagerfeld ausstatten könne, „sehr witzig“. Ihr wurde die gesamte PR inklusive der Mode für den deutschsprachigen Raum übertragen, kurz vor der ersten Schau 1983: „Das wurde ein Traumjob, ein riesiges Privileg.“

Sie begleitete Lagerfeld fortan über 20 Jahre bei Presse-Events, auf Fotoshootings, sehr lustig das auf Sylt mit vor Kälte bibbernder Claudia Schiffer und Polizei, ermutigte ihn dazu, selbst Kampagnen zu fotografieren, wenn ihm Bilder der Profis nicht genügten, fand für ihn eine Villa an der Elbe, als er Lust hatte, wieder mehr Zeit in Hamburg zu verbringen. Die Abende auf der Terrasse machten beide zu noch engeren Komplizen in Sachen Kreativität. Er vertraute ihr sehr.

Was sie nach strategischem und persönlichem Einschätzen gut fand und was ihm Spaß und vor allem eine neue Erfahrung verhieß, das wurde umgesetzt. Gern auch die abgefahrenen Projekte. Pressetermine absolvierten sie unzertrennlich wie zwei Köpfe auf vier Beinen, „muss ich da hin, wer ist das noch mal, kann ich jetzt gehen?“, auf jede Frage wusste sie prompt Antwort, im Ausland gern auf Deutsch, ihrer „Geheimsprache“. Marietta nahm auch wahr, dass gelegentlich Mitglieder der Entourage abhandenkamen.
Lagerfeld war kein Mensch der ­Abschiedsworte, er brauchte aber manchmal neue Leute in seinem Umfeld. Dementsprechend rechnete sie bei aller Verbundenheit immer damit, dass auch ihr dies einmal widerfahren würde. Es dauerte sehr lange, doch der Tag kam, an dem Lagerfeld sie nicht zurückrief, ohne Anlass. Sie wusste das erhobenen Hauptes zu nehmen. Marietta hat über die gemeinsame Zeit ein immens amüsantes Buch geschrieben.

„Mein Geheimrat Lagerfeld“ hat sie es betitelt, in Anlehnung an eine seiner vielen Widmungen. Es ist ihre aufrichtige Hommage an ihren Freund und Geschäftspartner. Zugleich das erste Projekt, das sie „für sich selbst“ verwirklichte. Ihr Leben lang hielt sie sich im Hintergrund, war im Namen ihrer Kunden unterwegs. Es nervte sie ein bisschen, dass nach Lagerfelds Tod etliche Autoren aufschrieben, was nicht immer ganz korrekt war. Also ging sie in ihr Archiv und in ihren gigantischen Gedankenpalast, dokumentierte akribisch und mit Humor, was sie als eine der engsten Vertrauten an Lagerfelds Seite erlebt hatte. Seit der Veröffentlichung vor gut einem Jahr im Hamburger Traditionsverlag Felix Jud, bien sûr, macht es ihr sichtlich Freude, bei öffentlichen Lesungen auf diese schöne Zeit zurückzublicken.

17 Jahre arbeitete Marietta exklusiv für das Haus Chanel. Im Jahr 2000 machte sie sich selbstständig mit der nach ihr benannten PR-Agentur. Weiterhin mit Karl Lagerfeld als Kunde, ihrem gemeinsamen Interesse für bildende Kunst ging sie parallel nach. Seit 14 Jahren lädt sie zur „Affordable Art Fair“ in Hamburg ein, einer Kunstmesse, für die der Londoner Gründer Will Ramsay sie in Deutschland von Anfang an an Bord holte. Nach ihren Pre-Openings für geladene Gäste ist gefühlt die Hälfte der Kunstwerke mit dem dezenten roten Punkt als verkauft markiert. Immer Anfang November, 2024 vom 7. bis 10. in den Messehallen.

Nach Berlin hat das mittlerweile weltweite Unternehmen letztes Jahr expandiert, das Reisen macht Marietta immens Freude. Sie stellt ihr Buch vor, nimmt PR-Aufträge an, die ihr Spaß machen: „Solange es interessante Menschen gibt, die mit mir arbeiten wollen … Ich bin nicht der Typ für Bridge, Golf spielen tue ich auch nicht.“ Ferien? Sie ist jährlich auf den Salzburger Festspielen, hält Kontakt zu Freunden aus der
ganzen Welt. Ihr Adressbuch digitalisierte ihr maßgeschneidert, Anfang der 80er (!), der IT-Spezialist Frank Holthausen von Chanel, mit Anreden, Titeln – und vor allem Platz für Memos, positiv oder „hands off, kompliziert“. Es umfasst mehr als 20.000 Einträge, die jedoch nur so gut sind wie Mariettas persönliche Beziehungen. Eine ehemalige Mitarbeiterin fand es schlau, sich im Gehen noch gemütlich die wertvollen Kontakte runterzuladen und sich damit in ihre neue Agentur einzukaufen, verschickte bald Einladungen.

Das Netzwerk funktionierte perfekt: Marietta war innerhalb von Minuten informiert, selbstverständlich kam niemand zu dem Event, auch nicht in Zukunft. Die Frau wurde abgemahnt, ruck, zuck, weg vom Fenster. Bei aller Liebenswürdigkeit: Wer einer Andreae blöd kommt, spürt die Konsequenzen umgehend. Ihr Lächeln wird unsichtbar schmaler, ihr Blick senkt sich für einen Moment, wie um dem Vorfall in Gedanken noch eine zweite Chance zu geben. Das eine oder andere Mal hat Marietta ihre Wehrhaftigkeit auch in den Dienst des überraschten Lagerfeld gestellt. Verleumdungen durch die Presse ließ man fortan nicht auf sich sitzen. Diese nicht sehr große Frau kann sich sehr gerade machen, für ihre Freunde, und wächst dann zu imposanter Statur. Ihre ungezählten Chanel-Kostüme, die sie in ihrer Eppendorfer Wohnung in Wandschränken entlang eines typischen Hamburger Flurs hegt, werden so zu ihrer Ritterrüstung.

Zur „Métiers d’Art“-Schau in der Elbphilharmonie lud Lagerfeld, der bereits um seine Krankheit wusste, sie selbstverständlich ein. Es war sein Abschied – von Hamburg. Moderne Matrosinnen defilierten zu Hans Albers’ „La Paloma“ im Tango-Rhythmus: „… wein’ nicht mein Kind, … einmal muss es vorbei sein. … Nach vorn geht mein Blick – zurück darf kein Seemann schau’n.“ Das Ohne-Tränen bekam auch Marietta nicht hin. Der Empfang danach, für wenige Hundert Gäste, war für beide ein Heimspiel, als hätte es nie eine Pause gegeben. „Die Dame dort hinten, kennen wir die?“

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