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Valentin Altenburg

HOCKEY-TRAINER

Text: Jörg Fingerhut | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 63

Bis heute ist es eines der meistgeklickten Videos der jüngeren deutschen Sportgeschichte: Die deutschen Hockeyherren spielen das olympische Viertelfinale 2016 in Rio, liegen 48 Sekunden vor dem Schlusspfiff mit 1:2 hinten, gleichen dann sensationell aus. Und als der Trainer in den letzten zehn Sekunden des Spiels schon seine Schützen für den Shoot-out aufschreibt, erobern die Deutschen an der eigenen Viertellinie noch einmal den Ball und treffen quasi mit dem Schlusspfiff zum 3:2-Sieg. Der Trainer damals? Der Hamburger Valentin Altenburg.


Seit 2022 ist Altenburg Trainer der deutschen Damen-Hockey-­Nationalmannschaft, sie nennen sich die Danas. Die Qualifika­tion für die Spiele in Paris haben sie im Januar beim Turnier in Indien vor imposanter Kulisse gegen starke Gastgeberinnen eingetütet. Gleich danach folgte im Rahmen der Pro League ein erfolgreicher Abstecher nach Argentinien, Spiele gegen Belgien und die Las Leonas, Argentinierinnen. Also alles ein Selbstläufer?

In der Weltspitze spielen heute fast ausnahmslos Profis. „Wir konkurrieren mit Teams, die mehr Geld, Zeit und Möglichkeiten miteinander haben. Wären wir auf dem Platz nicht in der Lage, situativ zu entscheiden, würden wir eine schlechte Kopie bleiben. Wir wollen denen etwas entgegensetzen, das sie nicht verstehen“, so skizziert der Bundestrainer die Situation. Deutschland ist seit Jahren die letzte Nation, die auf ein duales System setzt. Konkret: Nahezu alle deutschen Nationalspielerinnen sind Amateure, die trainieren wie Profis. Sie studieren und bekommen in den Vereinen und von der Sporthilfe lediglich eine Aufwandsentschädigung. Wie der Bundestrainer das bewertet? „Es ist kein Nachteil, dass wir dezentralisiert arbeiten. Es ist anders. Und das ist gut so.“

Wichtiger Ansatz für Altenburg in der Arbeit mit dem Team ist eine Beziehung auf Augenhöhe, nicht als Machtverhältnis. In der betont offenen Kommunikation, in der es keine Vieraugengespräche mit Spielerinnen hinter verschlossenen Türen gibt, geht es darum, auch Nein sagen zu dürfen. Es geht darum, abgeschlossene Schubladen – im sportlichen und im menschlichen Sinn – zu vermeiden, indem sie proaktiv und bewusst geöffnet und hinterfragt werden. Dafür braucht es viel Vertrauen in der Zusammenarbeit. Auch für die Philosophie, den Spielerinnen auf dem Platz möglichst viele eigene Entscheidungen zuzuge­ste­hen. „Leistungssport ist Lust auf Ungewissheit. Ich weiß nicht, ob ich nominiert werde, ob wir als Mannschaft gewinnen …

Meine Antwort darauf ist: Trau es dir zu! Diese Entscheidung liegt bei dir.“ Drei wesentliche Elemente des deutschen Spiels werden über ein internes Ampelsystem gesteuert, für dessen Überprüfung wiederum die Spielerinnen mitverantwortlich sind: Sind in den drei Bereichen die Lichter grün? „Wenn dein Einfluss als Trainer maximal groß sein soll, dann, weil dein Team dir vertraut und brennt. Wenn nur der Trainer brennt, bringt das gar nichts.“

Altenburg ist selbst das beste Beispiel für dieses duale System. Denn als er als junger Coach vor bald 20 Jahren mit den Herren der Stuttgarter Kickers seinen ersten Meistertitel und danach den ersten Europapokal feiern durfte, war er noch Student. In Mannheim hat er BWL studiert, später parallel seinen Diplom-Trainer an der Sporthochschule in Köln gemacht. Und wieder zurück in Hamburg kam an der Bucerius Law School noch ein Master in Jura und Wirtschaft dazu. Und viele weitere Titel mit den Herren des Uhlenhorster HC.

Natürlich bringt er dieses Wissen auch in seinen Job als Damentrainer ein. Organisationsentwicklung ist so ein Begriff. Darauf verwendet er einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit. Denn das Umfeld von Coach und Team hat einen unmittelbaren Einfluss auf den sportlichen Erfolg. Wer trifft in einem System die Entscheidungen? Welche Rolle hat der Coach darin? Wie frei ist er wirklich in seinen Entscheidungen? Was sagen die Eltern der Spielerinnen? Nur wenn das gesamte Konstrukt das Vertrauen ventiliert, das Altenburg mit seinem Staff propagiert, sind situative Entscheidungen auf dem Platz und in der Weltspitze möglich. Das führt bisweilen zu Situationen, die für den Spitzensport ungewöhnlich sind. „Wenn eine Spielerin zur Leistungsdiagnose nicht auf die Waage möchte, dann darf sie auch hier Nein sagen.“

Wie coacht ein Trainer, der seinem Team eigentlich in allen Bereichen ungewöhnlich viel Freiheiten einräumt und auf Eigenverantwortung setzt? „Du kannst eine Spielidee nur entwickeln, wenn du alles vorgibst – was aber fast alle unsere Gegner machen, weil sie eben mehr Zeit haben. Oder du gibst den Danas Prinzipien an die Hand, an denen sich alle ausrichten können.“ Altenburg hat in den vergangenen Monaten nicht einmal die sonst so beliebte Taktiktafel benutzt. Sie täusche eine Sicherheit vor, die es nicht gibt. Auch übertriebene Videobesprechungen sieht er durchaus kritisch. „Sie führen oft dazu, dass du nur noch den Baum siehst. Wir wollen aber den Wald sehen.“ Viel wichtiger sind die Fragen, die die Danas eigenständig mit dem erwähnten Ampelsystem im Blick behalten: Spielen wir frei auf? Feiern wir unsere
Zweikämpfe? Spielen wir das Spiel nach unseren Prinzipien?

Manchmal klingt Altenburg nach einer neueren Version vom Kaiser und seinem Bonmot: Geht’s raus und spielt’s Fußball! Als hätte er dieser Aussage endlich auch das theoretische Fundament spendiert. Ob die Danas das alles annehmen? Ob Olympia 2024 in Paris für die Danas erfolgreich wird? Vieles spricht dafür! Die Formkurve zeigt nach oben. Zuletzt konnten Siege gegen Top-Nationen gefeiert werden. Lediglich die Holländerinnen scheinen innerhalb der absoluten Welt­spitze aktuell einen besonderen Lauf zu haben.
Aber wer weiß, wie es auf dem Platz in Paris aussehen wird, wenn die Nationalhymne ertönt? Die Danas haben gemeinsam und nur für sich übrigens eine neue Strophe getextet. Und allein die erste Zeile ist ein wirklich schönes Bekenntnis zu einem System, das in Paris den Unterschied machen soll. Darin heißt es nämlich: „Einigkeit mit Recht auf Freiheit.“ In diesem Geist scheint alles möglich.

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