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Die Festmacher

DIE LETZTEN ABENTEURER IM HAFEN

Text: Jörg Fingerhut | Fotos: Tommy Hetzel

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 54

Als wir an einem der ersten warmen Tage des Jahres bei strahlendem Sonnenschein am Ellerholzhafen mit den Festmachern über den langen Metallsteg zu den Booten hinuntergehen, hat es schon was von einem entspannten Ausflug mit Freunden. Als hätten Stoppo, Tetsche und Dennis die jahrelange Diskus­sion über Work-Life-Ba­lance interessiert verfolgt, um festzustellen: Ich werde einfach Festmacher im Hamburger Hafen. Da ist die Welt noch in Ordnung! Blick aufs Wasser und himmlische Ruhe.

Das mit der Ruhe erledigt sich in dem Augenblick, in dem Stoppo den Schiffsdiesel anlässt und wir uns auf den Weg zu einem Tanker aus Gibraltar machen, den wir jetzt irgendwo in der Nähe der Köhlbrandbrücke festmachen müssen. Unser Boot sieht aus wie ein etwas überdimensioniertes Ruderboot. Nur dass hinten ein offenes Steuerrad platziert ist. Und es ist laut. Viel lauter kann so ein 400-Meter-Containerschiff eigentlich auch nicht sein. Rund 10.000 Schiffsankünfte gibt es pro Jahr in Hamburg. Die meisten Pötte werden heutzutage nicht von den Booten aus vertäut, sondern direkt von den Kaianlagen. Da ist die Anreise dann nicht ganz so romantisch wie mit Boot und frühlingshafter Sonne. Überhaupt gibt es ja in Hamburg gelegentlich auch Regen, Schnee oder sogar Hagel:

„Vor ein paar Wochen war ich auch gerade im Köhlbrand unterwegs“, Stoppo übertönt entspannt den Schiffsdiesel. „Vor mir sehe ich noch, wie ein Großschiff am Container Terminal Altenwerder ablegt. Hinter mir zwei Schlepper. Plötzlich geht ein unfassbarer Hagelschauer runter, ich kann nicht mal mehr die Containerbrücken sehen, stehe innerhalb von Sekunden knöcheltief in Hagelkörnern und mache erst mal in Neuhof fest. Ohne Sicht und elektronische Navigationshilfen ist es einfach zu gefährlich.“

Es ist nicht nur einer der ältesten Jobs im Hafen, es ist wahrscheinlich auch der Job, der sich in den letzten 100 Jahren am wenigsten verändert hat. Okay, heute kämpfen die Festmacher auf dem Weg zum Auftrag nicht mehr mit den Konkurrenten darum, wer zuerst am Schiff ist. Das wird inzwischen durch Verträge mit den Reedereien und den Schiffsmaklern geregelt. Und die Festmacherboote sind natürlich heutzutage motorisiert. Aber ansonsten könnte der Festmacher von 1922 nach einer kurzen Zeitreise wohl auch 2022 seinen Job machen.
Wir fahren dicht an der „Yannis Gorgias“, einem Massengutschiff, vorbei. Mit nicht einmal 200 Meter Länge ist sie echt kein Riese. Aber wenn man so den Bug hinaufschaut, bekommt man einen ganz guten Eindruck, wie es sein muss, zum Festmachen die Leinen von weit größeren Schiffen aufzunehmen. Mit Strömung und Schraubenwasser, bei Dunkelheit und Minustemperaturen. Da ist der Job dann nicht mehr ganz so romantisch.

Festmacher fahren niemals allein raus. Meistens sind sie zu zweit unterwegs, mindestens. Manchmal auch mit zwei Booten. Es sind eingespielte Teams, die oft seit vielen Jahren zusammen festmachen. Stoppo und Tetsche sind jetzt beide seit fast 15 Jahren dabei. Beide haben schon eine Karriere hinter sich und sind auf dem zweiten Bildungsweg an den Job gekommen. Und nicht allein bei den beiden ist es so, dass man sich kennt, nur wirklich selten stoßen Externe dazu. Die rund 80 Festmacherjobs im Hamburger Hafen gingen besonders früher gern an Freunde und Familienmitglieder. Die Arbeitszeiten sind nicht jedermanns Sache: sieben Tage früh, von sieben bis sieben. Danach ein paar Tage frei. Dann sieben Tage spät, von sieben bis sieben. „Wir machen halt keine Fließbandarbeit. Manchmal musst du zwischen den Einsätzen auch ein paar Stunden warten“, sagt Tetsche. Das ist seit vorletztem Jahr für die Männer etwas komfortabler geworden. Da sind sie aus zwei schlichten Büro-Containern auf einen Kahn im Ellerholzhafen gezogen. Dort gibt’s einen Ruheraum mit ein paar Kojen, Aufenthaltsraum und Duschen. Und vor allem eine der wahrscheinlich schönsten Terrassen im Hamburger Hafen. Natürlich mit Grill – was besonders praktisch ist, wenn der Werksverkauf von Fleisch und Wurstwaren nur ein paar Meter die Straße runter ist.

„LOOOTSE!“ Stoppo übertönt den Schiffsdiesel jetzt deutlich und nicht mehr so entspannt. Wir sind nun bei unserem Tanker, gute 100 Meter lang, angekommen. „Der Lotse muss uns jetzt sagen, ob wir am Bug oder achtern die erste Leine holen.“ Nach zwei, drei weiteren Versuchen der Kontaktaufnahme sehen wir die erste Leine. Offensichtlich fangen wir achtern an. Manche Kommunikation läuft dann auch hier eher nonverbal. Generell ist es im Hamburger Hafen so, dass bei allen einlaufenden Schiffen ein Lotse an Bord geht und dem Kapitän Empfehlungen gibt. Die Entscheidungshoheit bleibt beim Kapitän.

Tetsche nimmt mit einem langen Haken die erste Leine auf, die wir zu einem Pfahl im Wasser, einer sogenannten Dalbe, fahren. „Die Dalbe hier ist natürlich entspannt – auch wenn die Möwe, die da nistet, uns nicht mag.“ Stoppo lacht. Königsdisziplin sind die Finkenwerder Pfähle. „Je nachdem, wie hoch das Wasser steht, müssen wir dort dann bis zu neun Meter hoch. Mit der schweren Schiffsleine, die im Winter gern auch mal gefroren ist, über die gefrorenen Metallsprossen.“ Wir fahren um unseren Tanker herum. Die Leine vom Bug kommt an einen Poller an der bewachsenen Böschung, wo Dennis schon wartet.
Wovor haben die Männer eigentlich den größten Respekt? „Leinen brechen immer wieder. Wenn wir oben an der Kai sind … es gibt so Geräusche … die fangen an zu singen, sagen wir … dann hast du noch eine Sekunde. Und du weißt ja nicht, wo sie brechen und in welche Richtung sie knallen werden.“ Stoppo zeigt uns einen kurzen Clip. Das dumpfe „Klong“, mit dem die Leine an einer riesigen Schiffswand aufschlägt, ist beeindruckend. Wir sind auf dem Rückweg und fragen uns, ob für die Festmacher unterm Strich die schönen Sonnentage oder die stürmisch kalten Wintertage überwiegen. Ist es ein schöner Job, oder verklären wir da was? Ist es eher Himmel oder Hölle? Tetsche steht neben Stoppo am Steuerrad. „Ich will mal so sagen: Wahrscheinlich haben wir einen der letzten Tom-Sawyer-und-Huckleberry-Finn-Jobs, die es überhaupt in Hamburg gibt.“

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