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Via Stella

SPOTLIGHT WEIDENALLEE

Text: Andrea Hacke | Fotos: Giovanni Mafrici

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 64

Mit offenen Armen und offenen Ohren empfängt Anne Carls, 55, ihre Besucher: Denn jeder, der mit einem persönlichen Geschirrstück das Geschäft betritt, hat eine Geschichte zu erzählen. „Ich liebe das!“, sagt Anne und strahlt ihr breites Lachen zwischen der Lockenmähne. Dann berichtet sie von einer jungen Kundin, deren Großvater früher eine Kneipe auf dem Kiez hatte. Damals konnte ein Gast seine Zeche nicht bezahlen und beglich die Rechnung mit Geschirr. 70 Jahre später darf Anne nun zwei dieser Teller in den Händen halten und umgestalten. Ursprünglich hatte die frühere Indus­triedesignerin Auftragsarbeiten dieser Art gar nicht geplant, sie wollte nur aus alten Porzellanstücken Neues kreieren, aber mittlerweile bringen ihre Kunden immer öfter das Material samt Familiengeschichte gleich mit.

Innen erinnert das Via Stella an frühere Tante-Emma-Läden, nur stapeln sich in den Schränken
statt Tomatenmark, Persil und Nivea-Dosen heute Kaffeetassen, Teller, Kännchen. Über 1000 Stück, schätzt Anne, gefunden auf Flohmärkten. Wer in dem Geschäft rumstöbert, entdeckt laufend neue Dinge wie eine 30 Zentimeter große Porzellan-Ente oder -Hunde, die Anne zu Stehlampen oder Kerzenhaltern umbauen möchte. An der Wand hängt eine Garderobe mit Knöpfen aus Deckeln alter Kaffeekannen.

Damit die Miete von der Kunst bezahlbar bleibt, teilt sich Anne den Laden mit einem alteingesessenen Elektriker, dessen Schalter und Dimmer sich ebenfalls in einem Regal stapeln. „Vor fast 13 Jahren habe ich ihn einfach gefragt, ob er mir einen Teil seiner Geschäftsfläche abgeben würde, da er meist auf Montage ist. Wir haben zwei Stunden geredet, am Ende hat er mir den Schlüssel in die Hand gedrückt.“ – So ist es in der Weidenallee: herzlich und unkompliziert. Eine Dorfgemeinschaft mitten in der Stadt. In Annes Laden steht auch ihre große Bohrmaschine, wie das Mobiliar eine Rarität aus den 50er-Jahren. Da man Porzellan mit Wasser bohrt, ist die Arbeit ganz leise.

„Ich fühle die Glasur und weiß, wie stark der Scherben ist bei Villeroy & Boch, Meissner oder chinesischem Porzellan“, sagt Anne. Noch nie ist ihr ein anvertrautes Einzelstück zerbrochen. Früher hieß Porzellan ja das weiße Gold – heute wird es im Via Stella wieder zu Schätzen.

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