Porträts
Ein Hamburger – eine Geschichte. Unsere Porträtsreihe setzt einige davon ins Rampenlicht. Sie machen Hamburg aus, und es lohnt sich, genauer hinzuschauen
DAS GRÖSSTE MAGAZIN DER STADT
Spotlight –
Kaiserkai
Text: Simone Rickert
Fotos: Giovanni Mafrici
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 45
Die Tür steht offen, Nikolaus Osann probiert gerade ein Cello aus, es klingt wunderschön. Doch statt Berufsmusiker ist er lieber Geigenbaumeister geworden. Ebenso wie seine Frau Ulrike Schellong, mit der er seit 26 Jahren die Werkstatt führt. Im Stadthaus an der Park-allee 1 und hier am Kaiserkai haben die beiden vor drei Jahren eine kleine Dependance eröffnet. Solisten und Orchestermusiker kommen von der Elbphilharmonie kurz rüber, um den Klang ihrer Instrumente perfekt einstellen zu lassen, Reparaturen vornehmen zu lassen, neue Saiten
oder ein Bogenbezug – man kennt sich, manchmal schon seit Jahrzehnten. Solisten von Welt-rang geben hier Hauskonzerte.
Doch vor allem wird in dem von Nikolaus Osann persönlich eingerichteten Laden gehobelt, gepresst und geschliffen. Der langjährige Austausch mit vielen Musikern plus die leidenschaftliche und akribische Handwerkskunst ergeben eine Expertise, die Geigen, Bratschen und Celli der Spitzenklasse entstehen lässt. Vorbild für einen Geigen-Neubau sind die Barock-Instrumente aus der Werkstatt des Meisters Guarneri del Gesù. Sie sind noch wertvoller als die bekannte Stradivari. Das Cello, das eben gespielt wurde, ist ein Nachbau eines alten
Instruments, das zwölf Millionen Euro wert ist. Nikolaus hat dafür jeden Millimeter des Originals vermessen: Dicke des Resonanzbodens, die Wölbung der Zargen, das sind die Seitenteile, jede natürliche Unebenheit trägt zu dem ausdrucksstarken Klang bei, der auch mit dem Nachbau erreicht werden soll. Schellong und Osann ergänzen sich: Ulrike spielt sehr gut Geige und macht die feinen Lackarbeiten. Die sind besonders bei der Restaurierung wichtig, die ebenfalls zu den Fachgebieten der beiden zählt.
Sie kennen den Markt hervorragend, vermitteln und handeln wertvolle Stücke. Und gelegentlich verhilft ihr Urteil einem Kunden auch zu unverhofftem Reichtum, der ein geerbtes Cello
verkaufen wollte und statt ein paar Tausendern dafür über 100.000 Euro bekommen hat. Eine Schülergeige für 450 Euro wird hier mit ebenso viel Liebe gebaut wie ein Spitzeninstrument. Die Auszubildende Merle sitzt schon nach einer Woche im Betrieb an ihrem ersten Werkstück. Das traditionsreiche Handwerk ist bei Schellong und Osann höchst lebendig.