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Autofreie Hansestadt

Text: Simone Buchholz | Illustration: Ralf Nietmann

Es gab schreckliche Bilder aus New York während der Pandemie, aber es gab auch ein paar wunderschöne: der Jubel der New Yorkerinnen über die Abwahl von Donald Trump. Die frühen, schnellen und unbürokratischen Impfungen, wie sie einfach versucht haben, so vielen Menschen so schnell wie möglich eine Ladung Schutz in die Oberarme zu rammen, man musste angeblich richtiggehend aufpassen, nicht im Vorüberlaufen geimpft zu werden, ich war fast schmerzhaft neidisch damals. Neidisch war ich auch auf die kurzerhand für Autos gesperrten und damit für Menschen geöffneten Straßen, plötzlich lebendig gewordener öffentlicher Raum mit bunten Tischen und Stühlen und freien Flächen und Blumen und Palmen in Kübeln.

Der Jubel über den aus dem Weißen Haus gejagten Trump jagt mir heute einen Schrecken ein, wenn ich daran denke, weil ich mich dann immer frage, wie die Demokraten so blöd sein konnten, nicht alles, wirklich alles zu tun, um allein den Gedanken an weitere vier Jahre Trump im Keim zu ersticken, warum schicken sie einen alten Mann ins Rennen statt zum Beispiel Oprah Winfrey?

Mein Neid auf die schnelle, unbürokratische New Yorker Impfkampagne ist einer Art resignativen Wut über die deutsche Langsamkeit in einfach allem gewichen, einem stummen Gefühl von „wie die arbeiten, möchte ich mal Urlaub machen“, im Zusammenhang mit Behörden und Staatskonzernen.
Auf die Straßen für Menschen statt für Autos bin ich immer noch unverhohlen neidisch, und deshalb ordne ich hiermit an, dass Hamburg innerhalb des Rings 2 ab sofort autofrei wird. Es soll wie von Geisterhand geschehen, erst fliegen SUVs, Lastwagen, Privatautos und Motorräder weg, dann die Ampeln und die Tankstellen, der Asphalt verschwindet, Bäume und Blumen wachsen am Rand der neuen Wege für Menschen, es wachsen auch Bänke aus dem Boden, und in den Teichen wachsen Seerosen und schwimmen
Enten. Lebewesen nehmen den Platz ein, der durch die plötzlich verschwundenen Maschinen frei geworden ist.

Ein durchschnittlicher Parkplatz ist fünf Meter lang und gut zwei Meter breit, das sind zehn Quadratmeter, meine Güte, was wir damit alles machen können – wir stellen die leeren Anhänger hin, die keiner mehr braucht, wir statten die Anhänger mit einer Batterie aus und einer Propangasflasche zum Heizen, fertig ist eine Notunterkunft für Obdachlose oder sogar ein Zuhause, zumindest übergangsweise. In Hamburg erfrieren ja jeden Winter Menschen. Wir nutzen öffentlichen Raum ab jetzt so, als wären wir soziale Wesen, wir nutzen ihn nicht mehr als Abstellfläche für Privatautos.

Wir schaffen Wohnraum, wir bauen Häuser auf die freien Tankstellenquadratmeter, wir bauen Parkhäuser um, wir machen sie auf, und wir können aus diesen Häusern rausgehen, ohne dass wir überfahren werden, wir können Fahrrad fahren, ohne Angst vor Lastwagen und Bussen haben zu müssen, weil die Busse auch aus der Stadt geflogen sind, wir haben ja wieder eine Straßenbahn. Die Straßenbahn soll möglichst oft bimmeln, einfach nur so, das wünsche ich mir ganz persönlich. Als Kind war es ein großes Vergnügen für mich, mit der Bimmelbahn zu fahren, ich erinnere mich daran, dass ich in einer Tour Bimmelbahn fahren wollte, was immer das auch gewesen sein mag, eine Bimmelbahn. Hamburg hat jetzt auf jeden Fall eine. Und Hamburg hat Platz für Kinder, die einfach durch die Stadt rennen können. Gute Mütter haben vor nichts Angst, außer vor Autos. Die Kinder rennen also durch die Gegend, die Mütter sitzen auf Bänken unter Bäumen und gehen ihrer Arbeit nach, die Väter kümmern sich um den Haushalt.

Die langen Straßen sind die besten, wie etwa die vom Millerntor bis zu den Deichtorhallen, je länger eine ehemalige Straße ist, desto mehr verbindet sie die unterschiedlichen Orte miteinander, die Straßen sind nämlich genau genommen schmale Parks mit Fortbewegungsspuren für Fahrräder oder Roller an den Seiten, in der Mitte können sich Menschen begegnen, auf Parcours, Rollschuhbahnen und Blumenwiesen, in endlos langen Kräuter- und Gemüsegärten, in Sonnenblumenfeldern und Freiwasserbecken, beim Sport unter freiem Himmel und in Baumschulen. Die Baumschulen sind absolut unverzichtbar, wenn wir weiter in der Stadt überleben wollen, weil mit dem Klimawandel hört der Spaß halt sonst endgültig auf. Wir brauchen Bäume, um die Städte zu kühlen, wir brauchen Böden mit tief wurzelndem Grünzeug, damit das Regenwasser erstens besser versickern und zweitens besser gespeichert werden kann, weil es wird ja nicht nur heißer und trockener werden, sondern auch immer mal wieder wochenlang sehr viel nasser. Das autofreie Hamburg ist auch da sehr praktisch, weil die Tiefgaragen verschwinden und wieder tiefer Boden da ist.

Freuen wir uns also auf die zukünftigen Sommer unter Buchen, Eichen und Kastanien, der
Anfang ist gemacht mit diesem unerklärlichen Zauber der ab sofort autofreien Stadt mit Platz für Menschen und Leben und Bars und Eiscafés und Musik und Tanz überall und zahlreichen Ecken zum Knutschen, und alles ist ganz leicht zu erreichen mit der, hurra – Bimmelbahn.

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