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Jugendhäuser

Text: Simone Buchholz | Illustration: Ralf Nietmann

Wie ich so auf meinem Königinnenthron sitze, der meine kleine Couch ist, und aus dem Fenster auf St. Pauli schaue, sehe ich Jugendliche in den Straßen. An Kreuzungen, in Hauseingängen, im Regen. Es sieht langweilig aus.

Sie reden, hängen halt so rum, machen ein bisschen Schattenboxen, manchmal wird einer geschubst, meistens versuchen sie, sich mit blöden Jungswitzen bei Laune zu halten. Hin und wieder verschwinden sie in einem der Hauseingänge und denken darüber nach, einen Joint zu bauen.
Und sofort kommt: die Polizei.

„Ihr denkt darüber nach, einen JOINT zu bauen!!“
„Vielleicht, kein Plan.“
„Dann SOFORT an die Wand und Hosen runter und Eltern aus dem Schlaf reißen und nächste Woche geht’s zur Drogenberatung, ihr seid nämlich ALLE polizeibekannt!“

Klar sind sie polizeibekannt, sie werden nämlich aufgegriffen, sobald sie nur den Kopf aus dem Schulbus stecken, denn sie sind die Djangos. Sie haben Eltern oder Großeltern, die mindestens 2000 Kilometer südlich oder südöstlich von Norddeutschland geboren wurden, und sie können nichts dafür, dass sie mit 13 schon kleine Schnurrbärte haben, aber auf die Schnurris sind sie mit Recht stolz, denn sie haben sonst nicht viel. Okay, sie haben gefälschte Gucci-Caps.

Aber ihnen fehlt das, was die Akademikersöhne vom Gymnasium gegenüber haben, die sich jeden Abend auf dem Pausenhof der Stadtteilgrundschule ums Eck ganz in Ruhe die Birne wegkiffen, ihnen fehlt, was die Rich Kids aus Eppendorf genießen, die sich unbehelligt durch die Oberstufe koksen und Crémant in schicken Restaurants trinken, ihnen fehlt, was in Blankenese ganz normal ist: das Privileg, all das
einfach tun zu können, ohne dass direkt draufgehauen wird.

„Na ja, der Moritz ist ja immerhin gut in der Schule, da darf er sich auch mal ein bisschen entspannen.“
Auf dem Grundschulhof.

Das wirft die Frage auf, wo sich die Djangos eigentlich in dieser Stadt entspannen sollen – für die paar staatlichen Jugendhäuser sind sie mit 14, 15 oder 16 Jahren zu alt, da ist es ja noch langweiliger als auf der Straße im Regen. In Kneipen dürfen sie noch nicht rein, hätten aber sowieso nicht das Geld dafür. Und die richtig guten Fitnessstudios, also das, was ihnen guttun und Spaß machen würde, sind teuer.
Für meine Begriffe hört sich das nicht fair an. Und ich verstehe, dass die Djangos wütend sind, was kontraproduktiv ist, weil dann gibt es Schlägereien und noch mehr Polizei.
Also werde ich Gerechtigkeit walten lassen und verschaffe den Djangos ihr eigenes Privileg: Mit sofortiger Wirkung beschlagnahme ich die ungefähr 600.000 Quadratmeter leer stehenden Hamburger Büroflächen, die sowieso niemand braucht, außer vielleicht zu Abschreibungszwecken, und verfüge, dass sie in Zukunft „Space of the Kings of Bling“ genannt werden müssen.

Um in diese speziellen, königlichen Jugendhäuser reinzukommen, muss man einen kleinen Schnurri haben und eine dicke Kette um den Hals, aus falschem Gold oder Silber. Sonst muss man nichts besitzen, nur vielleicht den Mut, was zu machen. Denn, und hier kommt der beste Teil meiner Idee: Die Djangos verwalten ihre Häuser selbst. Sie bekommen dafür ein mittelmäßiges Budget aus meiner Schatulle, es wird trotzdem lange reichen, denn sie haben gelernt, mit Geld umzugehen, sie kaufen ihre
Süßigkeiten und Alcopops nicht im Kiosk, sondern im Discounter, sie sind ja nicht blöd, und verarscht werden sie eh schon rund um die Uhr, also werden sie einen Teufel tun, sich auch noch gegenseitig zu verarschen. Sie werden schön aufeinander und auf ihre Häuser aufpassen.

Es wird super werden – weil es in den meisten Büros Jungs- und Mädchentoiletten gibt, können die Chayas, oder von mir aus „die Queens“, zu Besuch kommen. Dann ist die Bude nicht nur voller Schnurris und Kettchen, man kann auch gleich mit der dort vorhandenen digitalen Infrastruktur Tutorials zu den Themen „Haare bis zum Arsch“, „geile Fingernägel“ und „Profi Eye Lining“ fürs internationale Netz produzieren. Alle tragen die dicksten Turnschuhe der Welt, das ist ein eigener Posten im Budget. Und es läuft die beste Musik, schlechten deutschen Rap hört da keiner, sie hören französisch-arabischen Hip-Hop aus den Pariser Banlieues oder Marseille und Orient-Dancefloor, es gibt Italo-Pop, griechische Chansons übers Mittelmeer und alte 2Pac-Kracher. Sie können alle tanzen, weil Breakdance der Style ist, den man im Ghetto draufhaben muss.

Sie haben endlich Orte, an denen sie sich treffen können, sie werden diese Orte beschützen, als wären sie rohe Eier, weil die neuen Orte so viel besser sind als alle Ecken, die ihnen sonst bleiben. Ach ja, die Polizei darf nicht rein. Die Polizei hat nämlich zu tun, weil sie sich jetzt mal die Gymnasiasten vornehmen muss und die Stadtteilschüler gefälligst in Ruhe lässt.

Um 23 Uhr schließen die Djangos ihre Spaces, denn wenn sie vor irgendwas noch mehr Angst haben als vor der Polizei, dann sind es ihre Mütter.

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